Flötenspiel
FLÖTENSPIEL
Die Welt verschwamm vor ihren Augen. Die Geräusche des Dorfes konnte sie nicht mehr wahrnehmen. Der Korb in ihrer Hand prallte auf den staubigen Boden. Die frischen Kräuter, die sie eben auf dem Markt gekauft hatte, waren nun in Dreck gehüllt. Sie spürte kaum, dass ihre Wange den Boden streifte. Dieser Schmerz. Die Tränen schossen ihr in die Augen, wollten sich befreien und das Licht der Welt erblicken. Der Schrei sammelte sich in ihrer Kehle. Sie schnappte nach Luft, lief blau an. Ihre Organe versuchten mühsam ihre Seele festzuklammern. Endlich entwich ihr der Schrei. Das Treiben im Dorf schien plötzlich wie erstarrt. Jeder in ihrer Nähe drehte den Kopf zu ihr. Die Augen weiteten sich vor Schreck. Ihr Schrei hallte in der Luft. Arme ergriffen sie, rüttelten an ihren Händen, versuchten sie zu beruhigen. „Alles wird gut“, meinte ein kleines Mädchen mit langen dichten Wimpern und schaute sie besorgt mit ihren tiefen schwarzen Augen an.
Doch sie bekam alles nicht mehr mit. Der Schmerz war zu groß. Er wand sich durch ihre Wirbelsäule, zerrte an ihren Nerven, presste sie zu Boden. Ihre Finger krallten sich in die Hand einer Frau. „Holt heißes Wasser! Bis zum Spital wird sie es nicht schaffen. Schnell!“
Fünf, sechs, sieben, acht Frauen rasten in ihre Häuser, als wäre jemand mit einem Dolch hinter ihnen her. Wenige Minuten später umringten sie die sich vor Schmerz windenden Frau, Schüsseln mit brodelndem Wasser in den Händen.
In der Ferne spielte ein Mann ein altbekanntes Volkslied mit der Flöte. Als wolle er ihr beistehen, sie trösten. Nur das nahm sie wahr. Sie klammerte sich hilflos an die Melodie, summte sie leise nach. Wieder ließ sie ein Schmerz aufschreien. Sie summte weiter. Es hatte eine beruhigende Wirkung auf sie.
Man drückte ihr ein blutverschmiertes Geschöpf gegen die Brust. Die Schmerzen bemerkte sie nicht mehr. Tränen flossen aus ihren Augen. Tränen der Freude. Alle hatten sie umringt. Das Geschöpf begann zu schreien.