Liebestrunken 1
Er reichte mir den Cocktail. Lächelnd nahm ich ihn entgegen und bedankte mich knapp. Ich betrachtete die rote Farbe und sog den süßlichen Duft ein. Mit einem Schluck kippte ich die Flüssigkeit in mir rein.
Zufrieden schaute ich ihn wieder an und legte meine Hand unter seine. Die Musik dröhnte im Klub und ließ den Boden erzittern. Die Stimmung war extrem gelassen, sogar ich wippte mich im Takt hin und her.
„Willst du noch einen?“, erkundigte er sich lächelnd und ließ mich nicht aus seinen Augen. Jede meiner Bewegungen verfolgte er, ich konnte seinen blaugrünen Augen fast nicht widerstehen.
„Öh, nein danke.“
„Wie du meinst.“
Sein Lächeln ließ meinen gesamten Körper prickeln, ich konnte mich mühsam zurückhalten.
Der Alkohol stieg mir langsam zu Kopf, ich spürte wie ich langsam total neben der Spur war. Kein Wunder nach sechs Gläsern.
Nach einigen Minuten fasste ich ihn am Hemd und zog ihn in eine dunkle Ecke des Raumes. Sofort zog ich ihn zu mir und legte meine Lippen stürmisch auf seine.
„Nicht so hektisch“, hörte ich ihn flöten, doch ich ignorierte ihn gekonnt.
Ich war zu liebestrunken.
Wieder wanderte mein Blick zum altmodischen Telefon, das an meinem Tisch stand. Meine Hand kribbelte, ich hatte das starke Bedürfnis seine in und auswendig gelernte Nummer zu drücken und seine Stimme in meinem Ohr zu hören. Meine Hand war schon auf halben Weg zu dem Hörer, doch ich zog sie in letzter Sekunde wieder zurück.
„Vanessa, hörst du mir überhaupt zu?“
„Hä?“
Widerwillig löste ich meinen Blick vom Telefon und schaute auf, um zu sehen, wer mich ansprach. Mein Kollege stand direkt vor mir und hatte die Hände am Tischrand abgestützt. Mit einem genervten Gesichtsausdruck musterte er mich durchdringlich.
„Was?“, entfuhr es mir unsicher. Den scharfen Unterton in meiner Stimme konnte er nicht überhören.
„Ich hab mit dir geredet. Über die neuen Entwürfe. Du weißt schon, du solltest sie mir heute geben.“
Verständnislos glotzte ich ihn an und wartete auf mehr Erklärungen. Welche Entwürfe?
Langsam konnte ich seine Ungeduldigkeit spüren und wurde selbst nervös.
„Die Chefin will die neue Kollektion für die Herbstmode haben. Du solltest bis jetzt drei Entwürfe haben.“
Ein kleines Lichtlein ging mir auf. Augenblicklich stieg die Panik in mir hoch. In den letzten vier Tagen hatte ich kein Auge zudrücken können. Meine ganze Konzentration war mir entwichen, ich hockte jeden Tag neben meinem Handy und wartete auf den Anruf. Diesen entscheidenden.
Und das alles passierte mir nur, nach dieser einen Nacht im Klub. Kaum konnte ich mich an Einzelheiten erinnern, doch die roten Cocktails hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt. Die Sehnsucht war fast unerträglich.
„Vanessa! Krieg ich vielleicht eine Antwort?“
Unschlüssig betrachtete ich meine Fingernägel und suchte nach einer passenden Ausrede.
„Öh.. meine… meine Katze hat sie in der Früh gefressen!“
Ich setzte ein entschuldigendes Grinsen auf, kassierte dafür aber bloß einen kühlen Blick.
„Du hast keine Katze soweit ich weiß.“
„Zac, ich… ach Gott, ich habs wirklich vergessen. Ich glaube ein Kleid ist schon fertig, wenn ich das rauskrame, aber zwei Kleider schaff ich unmöglich bis morgen. Kann ich vielleicht noch vier Tage Zeit kriegen?“
Er seufzte tief und nickte dann langsam.
„Ich werde das mit der Chefin inszenieren. Dass das ja nie wieder vorkommt!“
Mein engelhaftestes Lächeln ließ gerade mein Gesicht erstrahlen, ich nickte artig und wendete mich augenblicklich wieder dem Telefon zu. Sollte ich oder sollte ich nicht?
Doch mein Handy, das in der Tasche steckte und eigentlich nicht angeschaltet werden durfte, klingelte mit dem Lilly Allen Ton und riss alle Aufmerksamkeit auf mich.
Panisch grub ich das Handy heraus und drückte ohne zu schauen wer es war, auf den Annahmeknopf.
Gekonnt ignorierte ich den tadelnden Blick meiner Kollegen –ingesamt drei, inklusive Zac – und versuchte meine Stimme so gelassen wie möglich klingen zu lassen.
„Vanessa Hudgens, hallo?“
„Liebling. Schon ewig nichts von dir gehört. Es tut mir Leid, ich hatte zu tun.“
„Schon gut“, keuchte ich und grinste breit.
„Wann sehen wir uns?“, schoss es aus mir raus, gleich darauf biss ich mir auf die Zunge. Dumme Vanessa, dumme Vanessa.
„Du kannst gleich kommen, wenn du willst.“
Tolle Vanessa, tolle Vanessa.
„Ich komme. Tschüss, bis gleich.“
Eilig schnappte ich mir die Tasche, richtete mich auf und lief aus dem Büro. Ohne zurückzuschauen natürlich, ich hatte keine Lust in das fassungslose Gesicht Zacs zu sehen.
»
Er öffnete mir die Tür. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen auf.
„Will“, flüsterte ich schluckend und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.
„Vanessa, na hallo.“
Mit einer Geste deutete er mir einzutreten. Das ließ ich mir kein zweites Mal durch den Kopf gehen.
„Eh.. Hast du wieder einen deiner tollen Cocktails?“
„Mir geht’s gut danke“, grinste er mich an.
Sofort lief ich rot an.
„Natürlich kannst du einen haben. Warte einen Moment.“
Fassungslos starrte ich ihn an. Das konnte nicht wahr sein.
„Du willst wie viel für einen Cocktail?“
„40 Euro.“
Mit einem schelmischen Lächeln auf dem Mund musterte er mich.
„Das kann nicht dein Ernst sein.“
„Kauf dir doch deinen Cocktail selbst, wenn dir dieser hier nicht gefällt“, meinte er belustigt und verschränkte die Arme.
Als ob ich das nicht schon versucht hatte. Alle Cocktails der Stadt hatten nicht dieselbe befreiende Wirkung wie seine.
„Du bist ein Schwein.“
„Aber aber.“
Er hatte mich also gar nicht geliebt?!
Wütend trat ich ihm auf die Zehen und stampfte aus seiner Wohnung. Ich werde sie nie wieder betreten. Nie wieder.
Erst als mir unten die kühle Luft ins Gesicht schlug, schossen die Tränen in meine Augen. Hat er mich nach Alkohol süchtig gemacht, damit ich ihm später viel abkaufe? Hatte er mich nie geliebt? Waren all seine Berührungen nur gut gespielte Lügen?
Ich konnte es nicht fassen. Mein Herz bebte vor Schmerz, mein Körper strebte nach dem Alkohol. Ich wollte wieder zurück, ihm das verdammte Geld unter die Nase reiben und mein Getränk genießen. Doch mein Herz und mein Stolz hatten die Situation unter Kontrolle. Als Feier des Tages prasselten die Regentropfen auf den Asphalt und nässten meine Haare. Auch mein Gesicht war nicht mehr lange trocken. Meine Tränen vermischten sich unauffällig mit den Regentropfen.
» Zwei Tage «
Deprimiert schmiss ich mich aufs Bett und schluchzte laut. Das Selbstmitleid, das mich eben erfüllte, war besänftigend und aufwühlend zugleich. Enttäuscht schmiss ich mein Kissen zu Boden, stand auf und hüpfte auf es solange, bis es zerplatze und die Federn wie eine weiche Decke über meinen Boden fielen.
Ich ließ mich auf den Boden fallen und verdeckte das Gesicht in den Händen. Warum hatte er das mit mir getan? Was hatte ich nur gemacht?
Es klingelte. Ich hatte keine Lust aufzumachen.
Geh schon. Vielleicht ist er es, und hat einen Cocktail bei sich.
Resignierend erhob ich mich und schlenderte lustlos zur Tür. Ich war lustlos, ja. Mein Körper aber pumpte soviel Adrenalin in meinen Magen, dass mir schlecht wurde. Es glaubte doch nicht ernsthaft wirklich, Will vor der Tür anzutreffen.
Ich riss die Tür auf und zog gleich darauf wieder ein enttäuschtes Gesicht.
„Ja, ich freu mich auch dich zu sehen, Vanessa.“
„Komm rein Zac.“
„Danke.“
Er grinste knapp, und trat ein. Seine Augen weiteten sich kurz, als er das Durcheinander in meiner Wohnung sah, doch er sagte nichts.
„Was ist mit dir los, Vanessa? Du kommst seit einigen Tagen nicht zur Redaktion.“
„Ich bin am Ende, Zac.“
„Du könntest gefeuert werden, meine Dame.“
„Ist mir egal.“
Er kräuselte besorgt die Lippen und musterte mich unentwegt.
„Vanessa, ich frag dich jetzt zum zweiten Mal. Was ist los?“
Ich tischte ihm erneut eine neue Lüge auf. Er durfte nichts erfahren, dann wäre mein Ruf und mein Image am Ende.
Und wieder landete ein Aspirin in meinen Magen. Mein Schädel brummte. Die Untertreibung des Jahres. Mein Schädel drohte vor Schmerzen zu zerplatzen.
Meine Gedanken fanden keinen klaren Weg mehr um zu mir zu kommen. Alles war wie eine reine Illusion. Mein Zimmer, meine Wohnung, die Entwürfe die auf meinem Schreibtisch lagen, die Redaktion – mein ganzes Leben. Sogar ich selbst schien nur ein Schatten auf der Erde zu sein. Der Spiegel zeigte mir ein unerfreuliches Bild von mir. Die Schatten unter meinen Augen waren meilenweit groß, die Haare fraßen das Bild von meinem runden Gesicht auf und waren fettig und schmutzig. Ich war einfach nur gruselig. Mein Magen wurde bloß mit Aspirin gefüttert, Essen kam gar nicht in Frage. Kurz und knapp: Ich stand vor dem Ende.
Du musst zu Will. Geh zu ihm. Dann hört dieses Elend auf.
Irgendwas, ein kleiner Funken Verstand, flüsterte schwach eine Weigerung.
Nein. Dann werde ich das Alkohol nie los.
Geh, verdammt scheiße noch mal.
Okay ich gab auf. Für einen Außenstehenden ist so ein Innendialog allzu amüsant, für mich war es der reinste Horror. Ich hatte keine Lust auf Engel und Teufel in meinem Inneren. Ich hörte jetzt ganz einfach auf meinem Körper.
Schlurfend ging ich zum Jackenständer und fischte meine schwarze Lederjacke daraus.
Mach deine Haare. Frisier sie.
Alles mit der Ruhe, Baby.
Ich ließ die Bürste durch meine (im Moment hasste ich sie) Haare gleiten und starrte derweilen finster zu meinem Ebenbild.
Das Bild das mich ebenfalls finster angaffte könnte dem eines Zombies gehören. Mein Körper passte perfekt dazu. Nur strebte ich kein Blut an, sondern Alk. Und das in kürzester Zeit. Ich wusste gar nicht, dass man so schnell süchtig werden kann.
Nimm das Geld.
Ich war ein Roboter meines Ichs. Was für ein kluger Satz. Ich müsste später ein Buch daraus machen.
Keine Zeit für Scherze. Geh zu Will.
Jaja. Ruhig Blut.
Und so fand ich mich einige Zeit später vor der Tür von dem schlimmsten Kerl aller Zeiten und drückte ihm die vierzig Euro unter die Nase. Mit einem überlegenen (sollte ich ihm meine Majestät sagen??) Lächeln holte er mir die rote Flüssigkeit, die ich mit Gier hinunterkippte. Das kalte Nass hatte etwas befreiendes, mein Magen reagierte ganz anders als beim Aspirin. Er war wie ein Schwamm und saugte alles auf.
Zufrieden, gebieterisches Ich? Jetzt werde ich nie mehr davon loskommen.
Halt die Klappe und trink.