My dad the vampire

My Dad, the Vampire




1830

Eine Eule wiederholte in den Tiefen des Waldes ihren Dreiklang, immer wieder diese drei Töne. Es klang wie ein Schrei, der durch den gesamten Wald hallte. Das Mädchen hörte noch einmal hin und folgte ihrem Ruf. Immer weiter drang sie in den Wald ein, ihre Schritte hastig einen nach dem anderen. Ihre Hand hielt den Saum ihres Kleides hoch, um nicht daran zu stolpern. Das konnte sie sich nicht leisten. Ein falscher Schritt und sie würde in den Armen ihres unbarmherzigen Feind liegen. Schweiß befeuchtete ihre Stirn, ihre Lunge arbeitete auf Hochtouren. Ihr Arm streifte einen Baum und wurde durch einen einsamen Ast verletzt. Sie fluchte leise und versuchte den aufkommenden Schmerz zu ignorieren. Sie hatte keine Zeit für Verzögerungen. Der Ruf der Eule war schon nah. Sie war also schon weit gelaufen. Sie verlangsamte ihren Schritt, lehnte sich an einem Baum an um durchzuatmen. Doch die kleine Pause sollte ihr nicht vergönnt bleiben. Ein Schlag gegen ihren Bauch zwang sie auf die Knie. Sie legte ihre Hand auf ihren runden Bauch. „Wir haben es bald geschafft, Kleine.“ Das ungeborene Kind, das ihr Leben zur Hölle gemacht hatte. Sie wurde von ihrem adeligen Elternhaus verstoßen, die Soldaten waren nun hinter ihr her um sie nach Auftrag ihres Vaters umzubringen. Tränen brannten in ihren Augen, als sie sich an den schmerzverzerrten Gesichtsausdruck ihrer Mutter erinnerte. Sie konnte ihren Vater nicht umstimmen, das wusste sie. Seine Ehre und sein Ruf waren ihm zu wichtig. Und nun war sie hier, gefangen in einem Wald, von dem ihr weder Anfang noch Ende bekannt waren.
Das Embryo wollte mit dem Schlagen nicht aufhören, als wollte er sie bestrafen. Ein Schrei entwich ihrer Kehle, sie drückte sich augenblicklich die Hand auf den Mund und biss sich in die Finger. Ein weiterer Schreit wurde abgedämpft. Erschrocken bemerkte sie wie eine Flüssigkeit auf den Boden tropfte. Nein. Nicht hier, nicht jetzt. Warum willst du die Düsterheit der Welt jetzt schon sehen?, dachte sie benommen und schrie erneut. Ihr ganzer Körper wurde von Schmerzen erfasst. Die Eule schrie erneut, immer aufdringlicher schien ihr. Waren die Soldaten schon hier? Noch, war keine Spur von ihnen zu sehen. Vorher war sie dem Schussfeuer knapp entgangen. Jetzt herrschte totenstille im Wald. Sie krallte ihre Finger in die trockene Erde und biss in ihr Kleid. Tief einatmen, tief ausatmen. Immer wieder wiederholte sie diesen Rhythmus. Die Zeit verging langsam, die Schmerzen wurden immer intensiver und erschütterten ihre Sinne. Sie konnte fast nicht mehr klar denken. Ein weiterer Schrei.
Doch nicht von ihr. Es war der Schrei eines neugeborenen Kindes, das den ersten Atemzug dieser verseuchten Welt getan hatte. Erschöpft lächelte sie das Kind an und hob es zitternd vom kalten Erdboden auf und wärmte es in ihrem Kleid. Ihr Kind. Es war so unglaublich schön.

***

Ein Schuss ertönte. Ich hörte ihn deutlich, obwohl er offensichtlich mehrere Kilometer entfernt war. Meinen Ohren entging nichts. In Windeseile rannte ich durch den Wald, entwich geschickt Baumstümpfen, Ästen und Tieren. In wenigen Sekunden erreichte ich die Stelle, wo der Schuss eingetroffen war. Ein Mann mit einem Gewehr stand weiter entfernt vor einer Frau und betrachtete sie mit einem Lächeln. Blut quoll aus ihrem Kopf. Er hatte sie getötet. Ich vernahm das Weinen eines kleines Kindes. Nach genauerem Hinsehen erkannte ich es auch. Es lag auf dem Schoß der Frau. Der Mann hob das Gewehr erneut und richtete es auf das Kind. Mein Instinkt reagierte schnell. Meine Zähne spitzten sich zu mörderischen Waffen, und schon stürzte ich mich auf den Mann, meine Fangzähne in seinem Nacken eingegraben. Er gab einen letzten Laut von sich und stürzte zu Boden. Ich trank noch von seinem Blut, bis er bleich wurde. Mit einer Bewegung wischte ich mir das Blut mit den Hemdärmeln von meinem Mund. Im Bruchteil einer Sekunde war ich bei der toten Frau und betrachtete das Kind. Es war noch in Blut getaucht. Es war gerade geboren worden. Gerade als ich gehen wollte, schrie es noch einmal. Ich wandte mich noch einmal um. Einen Augenblick danach lag es in meinen Armen und meine Füße bewegten sich Richtung Hütte. Ganz offensichtlich war ich ein verrückter Vampir. Welcher Vampir nimmt auch ein Menschenkind bei sich auf?


 
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